
Wahrheit und Unwahrheit
Polizei, dein Freund und Helfer?
1) „Freund der Bürger“ – zwei propagandistische Plakate. Wer waren wohl die Adressaten?
2) „Helfer der Partei“ Der Eid verpflichtet die Polizist*innen auf die Partei.
Polizei, dein Freund und Helfer?
Der Spruch ist vermutlich im 19. Jahrhundert in Preußen entstanden, um die Polizei als Schutz- und Ordnungsmacht zu kennzeichnen. In beiden deutschen Diktaturen wurde er genutzt.
In der DDR hieß die Polizei „Volkspolizei“. Dass diese Bezeichnung aber nicht bedeutet, dass sie in erster Linie Freund und Helfer des Volkes war, verdeutlicht das Polizeigesetz von 1968. Es definierte: Die Deutsche Volkspolizei ist ein „Organ der sozialistischen Staatsmacht der Deutschen Demokratischen Republik“ und leistet einen wichtigen Beitrag zur „Festigung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“.
Die sogenannte VoPo, war also immer auch Instrument zur Umsetzung der staatlichen Ideologie und zur Sicherung der SED Diktatur. Insofern zählte es zu den Halbwahrheiten der SED, sie als „Freund und Helfer“ der Bürger*innen zu bezeichnen. Sie war Freund und Helfer der Staatsmacht.
Historischer Kontext
Die Volkspolizei hatte die allgemeinen Funktionen einer Schutz- und Verkehrspolizei, spezielle Funktionen einer Wasserschutz- Kriminal- und Transportpolizei. Außerdem unterstand das gesamte Meldewesen als Abteilung Pass- und Meldewesen der Volkspolizei.
Grundlage der erlebten „Unwahrheit“ war, dass in allen Funktionen z.T. sehr enge Verbindungen mit der Staatssicherheit, der Stasi bestanden. Manche Verbindungen bestanden ganz offensichtlich; das führte dazu, dass die meisten Bürger ganz selbstverständlich von der Möglichkeit einer Kooperation zwischen den verschiedenen Abteilungen der Polizei mit der Stasi ausgingen.
Die Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei und deren Freiwillige Helfer etwa waren vor Ort, für einzelne Gemeinden oder Stadtteilen zuständig, insbesondere in Belangen der Schutz,- Verkehrspolizei , des Meldewesens und ansatzweise der Kriminalpolizei. Für die Stasi hatten die Informationen der Abschnittsbevollmächtigten besondere Bedeutung, weil sie ganz nahe an den Bürgern ihres Abschnitts waren.
Die kasernierten Einheiten/ Bereitschaften der VP waren für Noteinsätze mit paramilitärischen Mitteln zuständig und hingen deshalb auch mit der Nationalen Volksarmee der DDR zusammen. Sie waren beteiligt an der Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953, an der Sicherung des Mauerbaus 1961, an den Versuchen, Demonstrationen und Protesten gegen den eigenen Staat zu vermeiden (insbesondere 1989).
Es gab phasenweise weitere Abteilungen der Volkspolizei. Die Grenzpolizei z.B. wurde vom Innenministerium zum Ministerium für Staatsicherheit (1952) und nach dem Mauerbau zum Ministerium für Nationale Verteidigung verschoben. Dort erfolgte die Umbenennung zu Grenztruppe.
Links zum Thema
An der Volkspolizei kann man sehr gut erkennen, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen der DDR ausfallen konnten und wie sehr tatsächlich die Rollen der Polizei als Schutz und auch als Kontrolle der Bürger*innen auseinanderklafften.

Gedanken zu Erinnerungen an die eigene Vergangenheit und die DDR:
- Wie man sich an etwas erinnert, hat auch immer mit den eigenen Erfahrungen zu tun, die man gemacht hat. Außerdem verändern sich Erinnerungen mit der Zeit und dem, was man im Nachhinein über eine Situation erfährt, die man zuerst vielleicht anders wahrgenommen hatte.
- Nicht wenige DDR-Bürger*innen hatten nie mit der Polizei zu tun. Nicht zuletzt dann, wenn sie nicht gegen die Partei und den Staat handelten. Dennoch stimmt die Idee nicht, „brave Bürger*innen“ hätten nichts zu befürchten gehabt.
- Die Polizei der DDR war Teil des Unterdrückungsapparats und übte im Namen des Staates Gewalt gegen seine Bürger*innen aus, oft im Zusammenwirken mit der Stasi. Polizei wurde also auch politisch eingesetzt und war strukturell sogar dazu vorgesehen eine unterdrückende Rolle auszuüben.
- Die Staatssicherheit (Stasi) agierte oft sehr willkürlich, so konnte es durchaus passieren, dass man auch mit angepasstem Verhalten unter die Räder kam, weil man verdächtigt wurde. Strukturen zur Überprüfung von tatsächlicher Schuld oder Beteiligung war in der Logik der „Geheimdienstarbeit“ der Stasi nicht vorgesehen. Repressive Maßnahmen wurden also auch gegen nach DDR-Gesetzen unschuldige eingesetzt.
Transparenz
Der erste Sektionstext möchte einordnen. Er verfolgt zwei Ziele:
Zum einen geht es darum zu zeigen, dass der Slogan „Freund und Helfer“ genutzt wurde, um zu verschleiern, dass Polizei in Diktaturen – anders ist als Polizei in demokratischen Staaten – für Überwachung, Verfolgung, illegitime Gewaltakte missbraucht wurde. Denn Diktaturen sind keine Rechtsstaaten und die Polizei unterliegt folglich keiner rechtsstaatlichen Kontrolle (siehe dazu auch die Hinweise unter dem Thema „Repressionen“, u.a. zum heißen Thema „Polizeigewalt“).
Zum anderen geht es darum, die Volkspolizei als „Organ der sozialistischen Staatsmacht” zu verstehen, die einen wichtigen Beitrag zur „Festigung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“ leistet. Dies wird u.a. am Eid sichtbar, den Polizisten in der DDR zu schwören hatten (siehe Materialspalte, Block 2). Zum Vergleich dazu: Der aktuelle Beamteneid in Deutschland lautet: „Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Landesverfassung und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“
So…
DDR-Bürger konnten die Polizei als „normales“ Exekutiv-Organ erleben. Nicht selten idealisierte die offizielle, öffentliche Darstellung Polizist*innen zu freundlichen aber strengen Helfern im Alltag.
… aber auch ganz anders
DDR-Bürger erlebten die Polizei aber auch als Organ eines repressiven, diktatorischen Staats. Zu konkreten Erfahrungen kam die Angst vor gegen einen selbst gerichtete Polizeigewalt.
Schutz…
Aufgabe der sogenannten Schutzpolizei war es die Bürger*innen zu beschützen. Dazu gehörten selbstverständlich auch Kinder und Jugendliche.
…und Unterdrückung
Genauso selbstverständlich wurden aber auch junge Menschen von der Polizei festgenommen und drangsaliert, wenn wie hier im Fall Ebert der Verdacht auf zivilen Ungehorsam bestand.
Alltagserfahrungen mit der Polizei
der „Abschnittsbevollmächtigte“
Der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) gehörte zur Volkspolizei. Das „Sowohl“ – „Als auch“ der Polizei in der DDR lässt sich an ihm sehr gut zeigen: In seinem Abschnitt (Gemeinde, Stadtbezirk…) war er der für die Bürger*innen zuständige Ansprechpartner. Er ging u.a. auf Streife, führte Verkehrskontrollen durch, nahm Strafanzeigen auf, etc. Die ABVs waren die erste Instanz, die Probleme und Kritik von Bevölkerungsseite nicht nur aufnahm, sondern auch zu lösen hatte.
Er war aber auch für Kontrolle und Überwachung zuständig. U.a. hatte der ABV auch die Hausbücher einzusehen, in die alle Bürger*innen sich nach dem Bezug einer Wohnung eintragen mussten und in die auch einzutragen war, wer sich besuchsweise länger als drei Tage im Haus aufhielt. Besucher mussten sich unter Vorlage des Personalausweises polizeilich an- und abmelden. Im Rahmen der staatlichen Kontrollmaßnahmen überwachten die ABVs auch Strafentlassene, observierten „verdächtige“ Personengruppen wie Ausländer, Rückkehrer und Zuziehende, ermittelten gegen Personen, die einen Antrag für Westreisen „in dringenden Familienangelegenheiten“ gestellt hatten. Personenkontrolle und die Überwachung der Westreisenden wurden jeweils in geheimen Dienstanweisungen geregelt.
Historischer Kontext
Das System der DDR basierte auf enger Kontrolle seiner Bürger*innen durch die ausführenden Organe des Staates. Entsprechend war es für die SED wichtig diese Kontrolle auch bis ins Kleinste durchzusetzen, damit auch an zentrumsfernen Orten die Staatsmacht funktionieren konnte. Zusätzlich zum gängigen Mittel der Polizeipräsenz, wie sie durch Streifenwagen und Streifengänge umgesetzt wird gab es deshalb in der DDR eine zusätzliche Rolle in der Polizei. Die Abschnittsbevollmächtigten sollten diese zusätzliche Rolle ausfüllen. Sie waren überall im Einsatz und sollten die Bevölkerung beobachten und gleichzeitig Staatsmacht ausüben. Gleichzeitig fungierten sie als Vermittler gegenüber der Bevölkerung und machten so einerseits Wege zur Polizei kurz, spielten andererseits aber auch eine zentrale Rolle bei der Unterdrückung als abweichend empfundenen Verhaltens, durch ihre Nähe und Greifbarkeit etwa in Fällen nachbarschaftlicher Streitigkeiten.
Links zum Thema
Selbstverständlich sieht der ehemalige Abschnittsbevollmächtigte seine eigene Rolle in einem anderen Licht, als Betroffene oder zurückblickende Interessierte. Er fühlt sich gezwungen sich zu verteidigen. In diesem neuen System in dem wir heute leben ist seine frühere Funktion als ABV in der DDR ein Makel den er nicht stehen lassen will. Das ist auch gut verständlich, schließlich möchte niemand als Instrument eines diktatorischen Regimes dastehen.
Er blendet dabei aber auch die Rolle die auch er bei der Durchsetzung und Erhaltung des DDR-Regimes spielte aus. Vielleicht setzt er sich an anderer Stelle kritisch damit auseinander, an dieser Stelle im Video aber geht er in Verteidigungsstellung und betont, dass seine Arbeit nicht anders gewesen sei, als die heutiger Polizist*innen. Trotzdem erzählt er später von seiner Rolle im Passierscheinwesen, die es heute nicht mehr gibt.
Auch er wurde als Bürger der DDR von seinen Vorgesetzten und dem System in das er eingebunden war, missbraucht und im Dunkeln gelassen. Über die Gründe für abgelehnte Passierscheine wusste auch er nichts und die psychische Belastung durch diese Rolle als Buhmann gegenüber der Bevölkerung sieht man ihm heute noch an, wenn er darüber spricht.
Überwachung und Kontrolle
Volkspolizei und Stasi
In der DDR-Systemerhaltung spielte das Zusammenwirken von Polizei und Staatssicherheit eine tragende Rolle. Nicht nur hatte die Stasi die Volkspolizei durch verdeckte Mitarbeiter und IMs durchsetzt. Sie war auch offiziell gegenüber der Polizei weisungsbefugt, konnte also den Polizeikräften direkte Befehle erteilen, wenn das im Rahmen des Staatsschutzes „erforderlich“ war.
Historischer Kontext
Die SED war darauf angewiesen die Bevölkerung der DDR unter Kontrolle zu halten. Zumindest war das die Überzeugung der SED-Führung. Man glaubte das nur erreichen zu können, wenn man alles wusste und auf jede*n Einzelne*n Macht direkt ausüben konnte, um Widerstand zu vermeiden und zu unterdrücken. Man wollte sich dabei nicht auf die Polizei alleine verlassen und suchte nach Möglichkeiten die Kontrolle noch stärker auszubauen. Nach sowjetischem Vorbild wurde darum eine politische Geheimpolizei eingerichtet, die Stasi. Eine „optimale“ Vernetzung und direkte Einflussnahme der politischen Kräfte auf die Polizei sollten nach Ansicht des SED-Regimes die eigene Macht sichern. Offiziell wurde das als „Schutz des Volkes“ vor feindlichen Einflüssen verkauft.
Links zum Thema
https://haitblog.hypotheses.org/3064, Hendrik Malte Wenk, Bürgernahe Polizeiarbeit in der DDR: Die Abschnittsbevollmächtigten der Deutschen Volkspolizei. In: Denken ohne Geländer. Der Blog des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. vom 08.06.2022: https://haitblog.hypotheses.org/3064
Hausbücher: Blog des DDR-Museums: https://www.ddr-museum.de/de/blog/archive/das-hausbuch
Transparenz
Die Abschlussektion setzt sich mit Volkspolizei und Stasi auseinander und verdeutlich noch einmal die Durchdringung der Polizei durch die Stasi. Wichtig sind Querverbindungen insbesondere zum Thema Repression, wo die Doppelrolle der Polizei mehrfach thematisiert wird.
Es lohnt insbesondere auch das Kapitel „Polizeigewalt“, das als heißes Thema aufgegriffen wird, weil Polizeigewalt in Deutschland aktuell immer wieder in die Diskussion kommt.
Wenn du weiterscrollst, siehst du die weiteren Kapitel zum Thema Wahrheit und Unwahrheit.
Wir schlagen dir weiterhin eine Auswahl an Kapiteln vor, die gut zu dem Profil passen, das du beim Start angegeben hast. Du kannst aber jederzeit auch weitere Themen auswählen, die Dich interessieren.
Den Abschluss solltest du aber nicht verpassen. Er enthält a) eine kurze Zusammenfassung, b) zeigt er, wie Menschen zu Veränderung beigetragen haben und c) hilft er Dir, Dich bei heißen Themen, bei denen es um die Frage „wahr oder falsch“ geht, zu positionieren. Deine Kenntnisse über den Umgang mit Wahrheit und Lüge in der DDR helfen dir dabei.
Transparenz
Allerdings gilt auch hier, dass nicht jede*r DDR-Bürger*in das so wahrgenommen hat.
- Die Unwahrheiten waren für manche nicht durchschaubar; viele Informationen wurden erst später für jeden zugänglich.
- Andere erkannten zwar, dass gelogen wurde, nahmen das aber nicht so wichtig. Sie passten sich an und hatten deshalb keine konkreten Negativ-Erfahrungen aus einem kritischen Umgang mit Unwahrheiten.
- Wieder andere vertrauten ihrem Staat und wollten deshalb auch glauben, was behauptet wurde.
- Eine letzte Gruppe war selbst Teil des Systems der Produktion und Verbreitung von Unwahrheiten.
Wir wollen, dass du dir selbst eine Meinung bilden kannst.
Deshalb haben wir nicht nur Materialien ausgewählt,
- die die Unwahrheiten offensichtlich machen, sondern auch solche,
- die zeigen, warum sich manche schwer damit taten und tun, zu erkennen und anzuerkennen, dass der Staat letztlich auf Unwahrheiten angewiesen war und mit den Mitteln einer Diktatur zu verhindern versuchte, dass diese offen gelegt wurden.
- Wir wollen zudem an Beispielen verdeutlichen, dass bestehende Spannungsgefüge nur aufzulösen sind, wenn über die Einzelerfahrung hinaus auf größere Zusammenhänge geachtet wird.
Zum Abschluss der einzelnen Kapitel zeigen wir jeweils, wie das nicht-Aushalten können hier von Unwahrheiten zu einem „Motor der Veränderung“ wurde, der schließlich zum Ende der DDR beitrug.