
Wahrheit und Unwahrheit
Umweltparadies DDR – oder etwa nicht?
Umweltparadies DDR – oder etwa nicht?
Die DDR hatte sich den Umweltschutz groß auf die Fahnen geschrieben. Bereits 1954 erfolgte der Erlass eines Naturschutzgesetzes, 1968 wurde der Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung verankert, 1972 ein Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft eingerichtet. Entsprechend wichtig war es der Staatsführung die Bemühungen der DDR als erfolgreich und vorbildlich darzustellen. Nimmt man staatliche Verlautbarungen als Maßstab, müsste die DDR ein richtiges Umweltparadies gewesen sein. Tatsächlich gab es unberührte, geschützte Natur in der DDR.
Diesen standen aber massive Umweltzerstörungen gegenüber. Dies betraf vor allem die Industriegebiete, die Abbaugebiete von Bodenschätzen, allem voran von Braunkohle. Negative Folgen für Umwelt und Natur zeigte aber auch die industrialisiert betriebene, aber oft rückständig arbeitende Landwirtschaft. Eine hohe Luftverschmutzung in den größeren Städten, schlechte, durch ungeklärte (Industrie-)Abwässer hervorgerufene Wasserqualität von Flüssen und Seen, stark beschädigten Wälder prägten das Bild insbesondere in den 1980er Jahren.
Da nutzte es nichts, offizielle Umweltdaten unter Verschluss zu halten, der Presse die Berichtserstattung über umweltschädliche Industrieunfälle, das Ausmaß der Luftverschmutzung oder die Auswirkungen der Umweltbelastungen auf die menschliche Gesundheit zu verbieten. Zu offensichtlich zeigten sich Umweltschäden und Belastungen für die Menschen.
Historischer Kontext
Umweltschutz ist schon länger ein ernstzunehmendes Thema. In den 1970er Jahren hatten sich fast überall entsprechende Bewegungen entwickelt. Mit der Partei die Grünen war Anfang der 1980er Jahre zum ersten Mal in Westdeutschland eine Umweltpartei ins Parlament gewählt worden. Seitdem hat sich die gesellschaftliche Reichweite der Umweltthematik deutlich erweitert. Mittlerweile hat der Klimawandel in den letzten Jahren dazu geführt, dass eine Umweltdebatte gesamtgesellschaftliche Triebkraft entwickelt hat.
Aber auch schon in den 1980er Jahren waren Umweltthemen von politischer Sprengkraft. Gerade in den Ländern des ehemaligen „Ostblocks“, also den sozialistischen Staaten Osteuropas und der Sowjetunion, bildeten sich Umweltverbände, die großen Zulauf fanden.
Diese Gruppierungen waren in diesen Ländern unter anderem auch eine Möglichkeit sich zu Opposition gegenüber des Staates zusammenzuschließen. Das war in diesen Ländern, und auch der DDR, ein wichtiger Ersatz für Öffentlichkeit, weil eine freie Meinungsäußerung in sozialistischen Staaten meist nicht möglich ist. Manche Experten für osteuropäische Geschichte gehen so weit zu sagen, die Umweltdebatte hätte maßgeblich zum Ende des sowjetischen Machtblocks beigetragen.
Transparenz
Umweltparadies DDR – oder etwa nicht?
Das Ziel ist den Widerspruch zwischen der offiziellen „Papierlage“ und der Realität offenzulegen und zu zeigen, dass der SED-Staat der Verschleierung große Bedeutung zugemessen hat, angesichts der Faktenlage der Umweltbelastung aber scheiterte.
Als Materialien für die Materialspalte wurden bewusst wieder ein propagandistisches Beispiel ausgewählt, ein Plakat, das die breite Bevölkerung adressierte.
Heiße Themen
Auch wenn es einfach ist den Umweltschutz in der DDR als historisches Thema abzutun, das uns heute nicht mehr betrifft, wirft das Thema doch viele Fragen auf, die auch heute noch wichtig sind.
Eine davon, die sicherlich nahe liegt, ist die nach der Ehrlichkeit öffentlicher Aussagen zum Zustand unserer Umwelt. In der Politik wird inzwischen (wieder) viel über Umwelt und Naturschutz gesprochen. Die verschiedensten Parteien beschäftigen sich damit, manchmal mehr und manchmal weniger überzeugend. Alle versuchen dabei eine Spagat, zwischen dem Schutz der Umwelt auf der einen und dem Lebensstandard der Bürger*innen auf der anderen Seite. Einige Menschen frustriert das, es geht ihnen nicht schnell genug und sie gehen auf die Straße und demonstrieren. Andere finden das alles viel zu übertrieben und sind der Meinung, es braucht nicht noch mehr Umweltschutz.
Damit können wir uns hier leider nicht tiefer auseinandersetzen. Wir beschäftigen uns hier mit der Geschichte der DDR. Geschichte wirkt aber immer auch in die Gegenwart hinein. Darum erscheint uns dieses Thema als etwas heißes, als etwas nicht abgeschlossenes. Man kann aber auch nicht alles aus der Geschichte als direktes Abziehbild begreifen. Die Situation in der DDR war eine völlig andere als die heute. Trotzdem kann man versuchen zwischen den Zeilen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen und daraus eigene Schlüsse zu ziehen.
Vorbildlicher Umweltschutz auf dem Papier…
…gegen schwer zu leugnende Tatsachen
Historischer Kontext
In der DDR nahm die Schwerindustrie und allen voran die Chemieindustrie einen hohen Stellenwert ein. Sie dienten nicht nur der Produktion wichtiger Werkstoffe sondern waren auch für das wirtschaftliche Wachstum der DDR zentral. Das war keine neue Erfindung, sondern man knüpfte damit an frühere Entwicklungen an, denn schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg, um 1920 wurde die Chemieindustrie zum wichtigsten und modernsten Wirtschaftszweig in Deutschland. Das setzte sich auch nach der Teilung Deutschlands fort und führte zu je unterschiedlichen Umweltproblemen in Ost und West.
Die DDR hatte insbesondere damit zu kämpfen, dass kaum Steinkohle zur Verfügung stand, die für die Industrie besonders wichtig war. Dafür hatte man sehr viel Braunkohle, deren Tagebau aber ganze Landschaften zerstörte und die für die Schwerindustrie erst chemisch aufbereitet werden musste. Zwar stand der Umweltschutz in der DDR-Verfassung und auch die Gesetzgebung sah den Schutz der Natur vor, allerdings stellte sich real auch das Problem, die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten. Wir kennen ähnliche Diskussionen aus der gegenwärtigen Debatte um den Klimawandel. In der DDR waren Diskussionen über den Zustand der Umwelt allerdings staatlich nicht erwünscht. Stattdessen versuchte man die Bevölkerung mit Fortschrittsmeldungen und Beschwichtigungen ruhig zu halten.
Transparenz
Die folgenden Doppelseiten dieser und der nächsten Sektion stellen wieder von der SED verbreitete Unwahrheiten und die sichtbar gewordene Realität gegenüber.
Links zum Thema
Umweltverschmutzung ist immer etwas, das nicht jede*r gleich wahrnimmt.
Das kann mehrere Gründe haben. Auf dem Land wird man beispielsweise Umweltverschmutzung weniger deutlich wahrnehmen als in der Stadt. In der Nähe von Schwerindustrie wird Umweltverschmutzung deutlicher als anderswo. Manche Gegenden sind stark von Umweltverschmutzung betroffen und andere weniger stark. Meist bleibt die Umweltverschmutzung sogar unsichtbar, denn ohne Tests und Analysen kann man viele Verschmutzungen nicht erkennen.
Das verleitet dazu Umweltverschmutzung als ein örtlich begrenztes Phänomen zu sehen. Wenn dann auch noch gesagt wird, man befinde sich auf einem guten Weg und werde das alles bald bewältigt haben, mag das viele überzeugen.
Am extremen Beispiel Bitterfeld fällt es schwer zu glauben, dass es unterschiedliche Perspektiven zum Umweltschutz in der DDR geben könnte. Außerhalb der Region hatte man davon in der DDR aufgrund des SED Informationsmonopols aber nicht viel mitbekommen.
Hier findest du noch weitere interessante Materialien zur Thematik:
Der Filmbeitrag die „Kinder von Bitterfeld“ aus dem letzten Jahr der DDR, 1990:
https://youtu.be/PiQeRm0MHHc
Ein interessanter Beitrag im Deutschlandfunk, der auch als Hörbeitrag verfügbar ist:
https://www.deutschlandfunk.de/sanierung-von-ddr-altlasten-giftiges-erbe-in-bitterfeld-100
„Wissenschaftliche“ Erklärung der Verbesserung des Umgangs mit der Natur…
…gegen die eigene Erfahrung der fortschreitenden Umweltzerstörung.
Staatsräson und öffentliche Ruhe…
…gegen gesundheitsbedrohliche Zustände.
1) Umweltbibliotheken
2) Tschernobyl
Angesichts der Umweltzerstörungen bildeten sich, vor allem ab den späten 1970er-Jahren, landesweit oppositionelle Umweltgruppen. Ihre Zielsetzungen waren sehr unterschiedlich. Einige Gruppen bezogen auch Friedens- und Menschenrechtsfragen mit ein. Viele Aktionen blieben aber lokal und weitgehend unpolitisch, nicht zuletzt weil Repressionen befürchtet wurden. Einen größeren Aktionsradius ermöglichte nur die Kirche. Die dort angesiedelten Umweltbibliotheken sind ein Beispiel.
Ein entscheidender Katalysator für die Umweltbewegung der DDR war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und der verharmlosende Umgang des SED-Regimes damit. Das Bemühen von Umweltgruppen, das tatsächliche Ausmaß des Atomunglücks öffentlich zu machen, zog Repressalien, permanente Überwachung durch die Stasi, z.T. Zersetzungsmaßnahmen nach sich.
Der Umweltszene der DDR gelang es zunehmend, sich mit westdeutschen Akteuren und internationalen Organisationen zu vernetzen. Die Westkontakte boten Umweltaktivisten wenigsten einen Teil-Schutz und die Stasi Pläne für koordinierte Verhaftungen und Ausweisungen blieben in der Schublade.
Umweltbelange gehörten zu den zentralen Themen in der Umbruchszeit 1989/1990.
Transparenz
Die Abschluss-Sektion verweist darauf, dass die Umweltbewegung ein mächtiger Motor der Veränderung war, mit großer Bedeutung für die Friedliche Revolution. Die Bedeutung des Atomunglücks in Tschernobyl wird dabei angesprochen. Betont wird auch die Vielfalt der Intentionen, die sich unter dem Dach der Umweltbewegung gesammelt haben. Als bedeutsam werden auch die Westkontakte der Bewegung herausgestellt.
Materialspalte:
Material 1 verdeutlicht am Bsp. der Umweltbibliotheken die Ausbreitung der Umweltgruppen in der DDR
Die Materialgruppe 2 befasst sich mit Tschernobyl. Die Materialien, die auf Klaus Jarmatz zurückgehen sind Erstveröffentlichungen, die belegen, dass der Umfang der Katastrophe in der DDR sehr früh bekannt war, auch dass zum Schutz der Bevölkerung gehandelt wurde, allerdings im Geheimen, um die Sowjetunion als „Ort“ des Reaktorunglücks nicht zu desavouieren.
- Die verharmlosende Pressemitteilung für DDR Presse;
- Das Zeitzeugen-Interview mit dem Wissenschaftler Klaus Jarmatz;
- Nicht veröffentliche Akten des Staatlichen Amts für Atomsicherheit und Strahlenschutz.
Wichtig sind wieder Querverbindungen:
- zum Thema Wohl-Stand, hier ökologischer Wohlstand;
- zu Teilnahmepflicht/ Motoren der Veränderung. Die Umweltbewegung wird dort als wichtiger Motor der Veränderung vorgestellt, weil sie das Recht auf Teilhabe aktiv vertrat.
Links zum Thema
a) https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/dossiers/umweltverschmutzung-und-umweltbewegung-der-ddr/historischer-hintergrund. In der dortigen Datenbank auch zahlreiche Zeitzeug*innenberichte, u.a. von Umweltaktivist*innen der DDR.
b) Interview zur Dokumentation „Bitteres aus Bitterfeld“
https://www.bmuv.de/30jahrenaturschutz/natur-und-umweltengagement-in-der-ddr/bitteres-aus-bitterfeld
c) Ausschnitte aus „Bitteres aus Bitterfeld“ in:
https://www.youtube.com/watch?v=GGqZyRAUYh8
d) https://library.fes.de/pdf-files/bueros/sachsen-anhalt/03272.pdf
e) Publikation zum Forum der Friedrich Ebert Stiftung zum Thema: Tschernobyl und die DDR: Fakten und Verschleierungen – Auswirkungen bis heute?
g) „Aktionen der DDR-Umwelt-Bewegung“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145389
h) https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/umweltengagement_ddr_bf.pdf
i) https://www.deutschlandfunk.de/tschernobyl-und-die-ddr-katastrophale-verharmlosung-100.html
Wenn du weiterscrollst, siehst du die weiteren Kapitel zum Thema Wahrheit und Unwahrheit.
Wir schlagen dir weiterhin eine Auswahl an Kapiteln vor, die gut zu dem Profil passen, das du beim Start angegeben hast. Du kannst aber jederzeit auch weitere Themen auswählen, die Dich interessieren.
Den Abschluss solltest du aber nicht verpassen. Er enthält a) eine kurze Zusammenfassung, b) zeigt er, wie Menschen zu Veränderung beigetragen haben und c) hilft er Dir, Dich bei heißen Themen, bei denen es um die Frage „wahr oder falsch“ geht, zu positionieren. Deine Kenntnisse über den Umgang mit Wahrheit und Lüge in der DDR helfen dir dabei.
Transparenz
Allerdings gilt auch hier, dass nicht jede*r DDR-Bürger*in das so wahrgenommen hat.
- Die Unwahrheiten waren für manche nicht durchschaubar; viele Informationen wurden erst später für jeden zugänglich.
- Andere erkannten zwar, dass gelogen wurde, nahmen das aber nicht so wichtig. Sie passten sich an und hatten deshalb keine konkreten Negativ-Erfahrungen aus einem kritischen Umgang mit Unwahrheiten.
- Wieder andere vertrauten ihrem Staat und wollten deshalb auch glauben, was behauptet wurde.
- Eine letzte Gruppe war selbst Teil des Systems der Produktion und Verbreitung von Unwahrheiten.
Wir wollen, dass du dir selbst eine Meinung bilden kannst.
Deshalb haben wir nicht nur Materialien ausgewählt,
- die die Unwahrheiten offensichtlich machen, sondern auch solche,
- die zeigen, warum sich manche schwer damit taten und tun, zu erkennen und anzuerkennen, dass der Staat letztlich auf Unwahrheiten angewiesen war und mit den Mitteln einer Diktatur zu verhindern versuchte, dass diese offen gelegt wurden.
- Wir wollen zudem an Beispielen verdeutlichen, dass bestehende Spannungsgefüge nur aufzulösen sind, wenn über die Einzelerfahrung hinaus auf größere Zusammenhänge geachtet wird.
Zum Abschluss der einzelnen Kapitel zeigen wir jeweils, wie das nicht-Aushalten können hier von Unwahrheiten zu einem „Motor der Veränderung“ wurde, der schließlich zum Ende der DDR beitrug.