
Begrenzte Freizügigkeit
Aktion „Ungeziefer“ und Co.
Zwangsumsiedlung in der DDR
a) Aus der Heimat abgeholt von der Volkspolizei
b) Spontan geflohen, statt sich umsiedeln zu lassen
Warum konnte es passieren, dass Menschen innerhalb von Stunden ihre Heimat verlassen mussten?
Seine Heimat zu verlieren, innerhalb von Stunden wegziehen zu müssen und das nicht, weil einen eine Naturkatastrophe oder Krieg dazu zwingen, sondern der eigene Staat – dieses Schicksal traf in der DDR Menschen, die von Zwangsumsiedlung betroffen waren.
Was hatten sie getan? Ihr „Hauptvergehen“ war, dass sie unmittelbar an der Grenze zur BRD wohnten. Dieses Gebiet wurde 1952 zum „Schutzgebiet“ erklärt, damit Fluchten aus der DDR effektiver verhindert werden konnten. Wer hier wohnte, sollte besonders zuverlässig sein und nicht auf Flucht-Gedanken kommen. Es konnte ausreichen, dass der örtliche Vertreter der SED oder der Stasi oder der Abschnittsbevollmächtigte eine Fluchtbereitschaft für möglich hielt oder jemanden als möglichen Fluchthelfer einschätzte. Die Umsiedlungsmaßnahmen im Mai/Juni 1952 wurde darum „Aktion Ungeziefer“ genannt.
Andere hatten das Pech, dass ihr Haus dem Bau der geplanten Grenzanlagen im Weg stand und deshalb abgerissen wurde.
Den Menschen wurde nicht nur die alte Heimat weggenommen, sondern auch festgelegt, wohin sie ziehen mussten. Dort Fuß zu fassen wurde nicht nur dadurch erschwert, dass man sich den neuen Wohnort nicht selbst ausgesucht hatte. Der Ruf, unzuverlässig zu sein, konnte das Ankommen zusätzlich erschweren. Von den ca. 350.000 Menschen, die in der etwa 5 Kilometer breiten Sperrzone lebten, wurden ungefähr 11.000 zwangsweise umgesiedelt. Für sie wurde das Menschenrecht auf „Freizügigkeit“ (hier: innerhalb des eigenen Landes) auf brutale Weise gebrochen.
Historischer Kontext
Zwangsumsiedlungen sind ein politisches Instrument, das Anfang des 20. Jahrhunderts häufig von Staaten genutzt wurde, um kulturell und ethnisch homogene Räume zu schaffen, weil man davon ausging, dass Staaten einheitliche Bevölkerungen benötigen würden, um wachsen und florieren zu können. Aber auch Fremdenfeindlichkeit und Hass spielten dabei oft eine Rolle.
In der DDR richtete sich das Instrument der Zwangsumsiedlung auf die eigene Bevölkerung und der Wunsch nach Homogenität spielte nur im Sinne politischer Gesinnung, und Zuverlässigkeit eine Rolle. Dementsprechend dienten Zwangsumsiedlungen in der DDR drei grundlegenden Zielen:
- Der Bestrafung von Personen die entweder selbst, oder deren Angehörige gegen das System und dessen Machtanspruch aufbegehrt hatten
- Der Kontrolle als verdächtig eingeschätzter Personen und damit verbunden einer Sicherung der Lage in den Gebieten, aus denen solche Personen entfernt wurden
- Der Beschaffung von Platz für Bauvorhaben, hauptsächlich im Zusammenhang mit der Errichtung und dem späteren Ausbau von Grenzsperranlagen
Heiße Themen
Zwangsumsiedlungen sind kein Thema der fernen Vergangenheit. Noch heute wird das Instrument von Staaten genutzt, um Menschen zu organisieren und zu verwalten.
Ein häufig verdrängtes Beispiel ist die gewaltsame Vertreibung der Bevölkerungsgruppe der Rohingya aus Myanmar in Südostasien. Dort geht die Regierung massiv gegen Angehörige der ethnischen Minderheit vor und verjagt diese regelrecht aus dem eigenen Land und von Orten wo die Rohingya seit Jahrhunderten lebten.
Ein weiteres aktuelles Beispiel von Zwangsumsiedlungen sind die Deportation und Umsiedlung von Ukrainern in den von Russland besetzten Teilen des Landes. Laut eigenen Aussagen wurden durch Russland vom 24.02.2022 bis zum 26.08.2022 insgesamt 3.680.474 Menschen aus der Ukraine nach Russland „evakuiert“. Internationale Beobachter gehen davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Personen tatsächlich freiwillig bereit war die Ukraine in Richtung Russland zu verlassen.
Transparenz
Warum konnte es passieren, dass Menschen innerhalb von Stunden ihre Heimat verlassen mussten?
Diese Sektion widmet sich der Frage nach den Gründen für Zwangsaussiedlungen, bei denen Menschen teilweise innerhalb von wenigen Stunden ihre Heimat verlassen mussten. Es wird die Zwangsaussiedlungsaktion „Ungeziefer“ geschildert und eingeordnet in die Maßnahmen der Grenzbefestigung 1952. Der Fokus liegt darauf, dass es beim Bruch des Menschenrechts auf Freizügigkeit nicht nur um „Einsperren innerhalb der DDR“ ging, sondern eben auch um Zwangsumsiedlungen.
In der Materialspalte werden drei Beispiele für derartige Zwangsaussiedelungen vorgestellt.
Wer macht so was? Die Organisation hinter den Zwangsaussiedlungsaktionen
Die zwangsweise Umsiedelungen fand in zwei großen Wellen statt. Die Aktion „Ungeziefer“ erfolgte 1952 und begleitete die Abriegelung der innerdeutschen Grenze. Behauptet wurde, die Umgesiedelten seien „antidemokratische, verbrecherische Elemente“. In Wirklichkeit ging es oft darum, Kritiker des Regimes zu bestrafen, Fluchten zu vermeiden oder durch Abriss Platz für Grenzanlagen zu schaffen. Auch die zweite Welle der Zwangsaussiedlung im Jahr 1961 fand begleitend zum Grenzausbau statt, konkret zum Bau der Berliner Mauer. Der Tarnname während der Vorbereitung war „Aktion Kornblume“ bzw. „Festigung“.
Vorbereitung und Durchführung der Aktionen waren geheim. Die Stasi organisierte die Zwangsaussiedlung. Zusammen mit der Volkspolizei und den SED-Kreisleitungen entschied sie auch, wer ausgesiedelt werden sollte. Mit der Volkspolizei führte sie die Aussiedlungen durch und dokumentierte sie. Aus den Berichten gehen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Maßnahmen hervor.
Transparenz
Wer macht so was? Die Organisation hinter den Zwangsaussiedlungsaktionen
In dieser Sektion werden neben der bekannten Zwangaussiedlungsaktion „Ungeziefer“ weitere derartige Aktionen vorgestellt, um das Muster auzuzeigen. Es wird die Frage beantwortet, wer hinter diesen Zwangsaussiedlungsaktionen steht: Organisiert und durchgeführt werden die Zwangsumsiedlungsaktionen von Volkspolizei und Stasi. Dabei wird „nebenbei“ auch gezeigt, wie sich in den Stasiunterlagen Planung, Durchführung, interne Bewertungen widerspiegeln.
In der Materialspalte finden sich Ausschnitte aus den Stasiberichterstattungen von 1952 und 1961. In diesen Berichterstattungen werden Schwierigkeiten und Widerstände sichtbar, vor allem auch der entmenschlichte Umgang, z.B. mit dem Schock, den die Maßnahmen ausgelöst haben, oder mit Suiziden. In den Berichterstattungen ist des Weiteren erkennbar, wie sich zwischen 1952 und 1961 die Strategien des Umgangs mit den Zwangsaussiedlungen verändert haben.
Warum gab es noch weitere Zwangsumsiedlungen?
Bei den Zwangsumsiedlungen gab es nicht nur die beiden Großaktionen in den Jahren 1952 und 1961. SED und Stasi sahen sie auch als effektvolle Strafmaßnahme und als Abschreckung für Nicht-Betroffene an.
Nicht anders ist es zu erklären, dass etwa die Eltern von Reinhard Müller ganze drei Jahre nach dessen Flucht auf Veranlassung der Stasi hin aus ihrem Heimatort „entfernt“ und umgesiedelt wurden. Eine offizielle Begründung gab es nicht.
Transparenz
Zwangsumsiedlungen als Strafmaßnahme
In dieser Sektion wird erläutert, dass es neben diesen Großaktionen auch viele Zwangsumsiedlung im kleineren Maßstab gab, die der Abschreckung und Bestrafung dienten.
In der Materialspalte wird exemplarisch das Schicksal von Reinhard Müllers Familie angeführt.
Links zum Thema
https://www.stasi-unterlagen-archiv.de/informationen-zur-stasi/themen/beitrag/aktion-ungeziefer/
(Die Hintergründe, Vorbereitung und Umsetzung steht im Zentrum)
https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Aktion-Ungeziefer-Vertrieben-aus-dem-DDR-Grenzgebiet,zwangsaussiedlung100.html
(Zwangsaussiedlung aus Vockfey an der Elbgrenze, einer Familiengeschichte wird nachgegangen)
(Unterrichtsmaterial; downloadbar über https://www.schulportal-thueringen.de/media/detail?tspi=1249)
Wir haben eine Auswahl an Kapiteln getroffen, die besonders gut zu deiner Profilauswahl passen, die du am Anfang gemacht hast.
Du kannst jederzeit gerne nach unten scrollen und dir die übrigen Kapitel des Themas ansehen.
Das Abschlusskapitel solltest du aber auf keinen Fall verpassen, weil es die einzelnen Aspekte des Themas noch einmal zusammenfasst.