
Wahrheit und Unwahrheit
Genossinnen und Genossen – alle gleich(berechtigt)?
„Als das Leben in der DDR nach 1990 bewertet und kritisch hinterfragt wurde, hatte kaum noch etwas Bestand. In einem war man sich jedoch in Ost wie West weitgehend einig: Auch wenn vieles nicht gut gewesen ist – zumindest die Frauen seien in der DDR gleichberechtigt gewesen. Sie galten als gut qualifiziert, ihre selbstverständliche Berufstätigkeit wurde bewundert.“
Anna Kaminsky, 2019
Frauen in der DDR trugen noch 1989 gut 40 Prozent zum Familieneinkommen bei. Der übergroße Teil von ihnen war vollzeitbeschäftigt.
Wegen den schlechteren Bedingungen der Berufstätigkeit galten Frauen lange als die Verliererinnen der ‚Wende‘. Sie selbst jedoch sahen ihre Position weit positiver: 81 Prozent empfanden (1996) ihre Situation als besser als zu DDR-Zeiten.
Allensbacher Jahrbuch für Demoskopie. Bd. 10: 1993 – 1997. München 1997, S. 602.
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In der Einführung wird auf die Wertschätzung der Gleichberechtigung à la DDR eingegangen (betont werden die hohe Voll-Beschäftigungsrate, das faire Gehalt), verwiesen wird zugleich auf eine Allensbach-Umfrage, nach der 81 % der Frauen ihre Situation als besser als zu DDR-Zeiten empfinden.
Gleichstellung – hat Verfassungsrang
… und der Alltag?
Frauen hatten in der DDR zwei grundlegend verschiedene Rollen zu erfüllen. Einerseits die Rolle der Arbeiterin, die tatkräftige Unterstützung beim Aufbau des Sozialismus zu leisten hatte und dafür rechtlich den Männern gleichgestellt war, andererseits sollte sie sich um den häuslichen Bereich und die Kinder kümmern.
Die staatliche Rundumbetreuung für Kinder sollte ermöglichen, beide Rollen zu erfüllen. Zugleich war so auch die Erziehung der Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten gesichert.
Auch wenn viele Frauen sich zu DDR-Zeiten Erleichterungen bei der Bewältigung des täglichen Spagats gewünscht hätten, nach der Wende war der vollständige Rückzug aus dem Arbeitsleben keine Option. Viele Frauen erinnerten an die gleichberechtigten Berufstätigkeit der DDR als positiv.
Nach Anna Kaminski (2019): (Verordnete) Emanzipation? Frauen im geteilten Deutschland. https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/286988/verordnete-emanzipation
Historischer Kontext
Obwohl die Quellen zeigen, dass Frauen in der DDR mehr Möglichkeiten offenstanden, eine Arbeitstätigkeit aufzunehmen, und auch in traditionell „männlich“-assoziierten Feldern tätig zu werden, waren wichtige Führungspositionen, darunter auch im SED-Regime, weiterhin vorwiegend Männern vorbehalten. In den 40 Jahren der DDR-Geschichte waren nur zwei Frauen Teil des Ministerrats der DDR und keine einzige Frau war jemals stimmberechtigtes Mitglied des Zentralkomitees gewesen. Krippenplätze wurden vor dem Hintergrund bereitgestellt, Frauen – die, unabdingbare Arbeitskräfte in der angespannten und von Fachkräftemangel gezeichneten DDR-Wirtschaft darstellten – in die Arbeitswelt zu integrieren. Zudem konnte so in die Erziehung der Kinder eingegriffen werden, um sie früh dem sozialistischen Menschenbild entsprechend zu erziehen. Für die SED eine Win-win-Situation.
Theoretisch waren alleinerziehende Frauen nach DDR-Recht als Familien anerkannt und durften nicht benachteiligt werden. Praktisch gibt es Beispiele jahrelanger Wartezeiten auf eine Wohnung, weil verheiratete Paare bevorzugt behandelt wurden. Auch hier zeigt sich der typische Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der sich durch die gesamte DDR-Geschichte zieht.
Entsprechend zeigen Statistiken und auch Erinnerungen von Zeitzeug*innen, dass mit Beginn des Feierabends auch die scheinbar gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau ein jähes Ende fand. Sie machen deutlich, dass die Organisation des Haushaltes und die Erziehung der Kinder weiterhin „Frauensache“ war und eine hohe Zusatzbelastungen für Frauen in der DDR darstellte. Jenseits der Arbeit blieben somit traditionelle Geschlechterbilder auch in der Gesellschaft der DDR weiter bestehen, was den Gleichstellungsanspruch der SED deutlich relativiert.
Ein bemerkenswerter Gedanke, den die Historikerin Jessica Bock formulierte ist in diesem Zusammenhang, dass die Frau in der DDR dem Ideal des Mannes gerecht werden musste. Der traditionelle männliche Arbeitstag wurde durch die Gleichstellung zur Norm des Arbeitslebens, auch für die Frauen erhoben. Die zusätzlichen traditionellen Aufgaben der Frau im Bereich der Sorge um „Heim und Herd“ wurden dabei ignoriert, wodurch eine immense Mehrbelastung der Frauen die Folge war.
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Gleichstellung – hat Verfassungsrang … und der Alltag?
Im Zentrum steht die Doppelrolle, die sich aus der Frau im Sozialismus nicht zuletzt als gleichberechtigte Arbeitskraft und aus der traditionellen Frauen- und Mutterrolle ergibt.
Materialspalte: Verfassungsauszüge
Textspalte: Infotext zur Doppelrolle und zur wertschätzenden Rückerinnerung vieler Frauen trotz der Doppelbelastung.
Heiße Themen
Auch wenn von umfassender gesellschaftlicher Gleichberechtigung in Deutschland heute noch nicht die Rede sein kann, so wird doch die Zusatzbelastung von Frauen und deren unbezahlte Pflegearbeit inzwischen gesellschaftlich vermehrt wahrgenommen und auch in der Politik thematisiert. Initiativen wie die Frauenquote und die Elternzeit, die heute gleich unter den Elternteilen aufgeteilt werden kann, zeugen davon, dass ein Bewusstsein für dieses Ungleichgewicht herrscht und angestrebt wird, eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter langfristig zu erreichen. Die Legislatur trägt diesem gewandelten Bewusstsein Rechnung und schafft in dieser Richtung wegbereitende Rahmenbedingungen für weiteren Wandel. Anders als in der DDR, in der früh eine vermeintlich schon erreichte Gleichstellung proklamiert wurde, wird akzeptiert, dass die Geschlechtergleichberechtigung in der heutigen BRD noch nicht erreicht ist, und es wird entsprechend gehandelt.
Links zum Thema
Manche Leute sehen noch heute die DDR als einen fortschrittlichen Sozialstaat, in dem die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern vollendet gewesen sei. Andere nennen die DDR dagegen eine „Fürsorgediktatur“ die versucht habe die Bevölkerung durch Sozialleistungen zufrieden zu stellen, während sie eigentlich unterdrückt wurden.
Zwischen diesen beiden Meinungen/Interpretationen/Extremen gibt es viele Ansichten zu diesem Thema. So war die rechtliche Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in der DDR tatsächlich stärker ausgeprägt als zeitgleich in der Bundesrepublik. Allerdings kann auch festgehalten werden, dass die tatsächlichen Auswirkungen dieser Regelungen in der Praxis nicht zu idealen Ergebnissen geführt hatten. Frauen hatten nur selten Führungspositionen inne, hatten mehr unentgeltliche Arbeit in der Familie zu leisten und waren durch die Kindeserziehung ohnehin mehr belastet als die meisten Männer. Außerdem hatte die SED nie versucht das traditionelle Rollenbild des Mannes aufzubrechen, wodurch diesem nach wie vor die „Führungsrolle“ innerhalb der Familie zukam. Im Vergleich mit unserer Gegenwart war also auch die DDR kein ideales Paradies der Gleichberechtigung. Man kann aber auch festhalten, dass im direkten Vergleich mit anderen Staaten der damaligen Zeit zumindest in manchen Bereichen die Gleichberechtigung stärker ausgeprägt war.
Was also tun mit diesen Spannungen und scheinbaren Widersprüchen?
Manches lässt sich nicht auflösen. Die eine „Wahrheit“ gibt es selten und ist oft nicht greifbar. Ja, in der DDR gab es rein rechtlich eine Gleichberechtigung. Nein, dadurch wird die DDR kein besserer Staat, es bleibt eine Diktatur. Ja, in anderen Staaten standen Frauen zu dieser Zeit weniger Möglichkeiten offen. Nein, die DDR war nicht „fortschrittlicher“ als die heutige Bundesrepublik. Auch wir haben heute eine rechtliche Gleichberechtigung und im Gegensatz zur DDR stehen Frauen auch in Spitzenpositionen der Wirtschaft und Politik. Gleichstellungbeauftragte sorgen dafür, dass Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier besteht, sondern auch in der gesellschaftlichen Praxis als Ziel verfolgt wird. Traditionelle Rollen männlicher Dominanz werden zunehmend diskutiert und aufgebrochen. Sind Frauen heute in der BRD damit fein raus und alle geschlechtlichen Benachteiligungen vom Tisch? Nein, wir sind immer noch mitten in einem Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung. Eine Entwicklung die die DDR nicht versucht hatte, weil das gesetzte Ziel ja vorgeblich erreicht war.
Zwischen Schein…
…und Sein
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Zwischen Schein … und Sein
Diese Sektion vertieft den Zwiespalt, der sich aus der Doppelrolle ergibt.
Materialspalte: Zeitzeugenerinnerung einer Tochter über die Doppelrolle ihrer Mutter.
Textspalte: Die Propagandistische Einschätzung lautet: Gleichberechtigung gelungen.
Vision: zwischen Gleichberechtigung
… und Traditionen
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Visionen: zwischen Gleichberechtigung … und Traditionen
Diese Sektion greift die Doppelrolle erneut auf, diesmal an einem Text, der eine Vision zur Frauenrolle der Zukunft enthält und in sich entlang der beiden Rollen einen Bruch aufweist.
Die Abschlusssektion hat das Ziel, monokausaler Erklärungen und vorschnelle Bewertungen für die Berufstätigkeit von Frauen aufzubrechen. Die Ergebnisse demographischer und soziologischer Untersuchungen sind in die Darstellung eingegangen.
Vertiefungen und Querverbindungen zu diesen Überlegungen finden sich in den Kapitel zum Teilhabezwang und zu Wohl-Stand.
Ein Fazit
In der DDR waren 1989 etwa 90% der Frauen berufstätig, während es in der alten Bundesrepublik nur 50% waren. Im geeinten Deutschland sind es heute über 75%. Diese monokausal zu erklären, griffe zu kurz:. In der DDR spielten ökonomische Faktoren, aber auch das ideologisch-sozialistische Familienleitbild und ein normativ-moralischer Druck, der Menschen zur Vollzeitarbeit drängte, eine große Rolle. Diese Bedingungen führten zu Habitualisierungen/Gewohnheiten, die auch die Akzeptanz einer frühen, staatlichen Kinderbetreuung einschlossen.
Im Vergleich zur Wendezeit hat sich der Westen dem Osten angenähert: Ein bedeutender Unterschied bleibt jedoch, nämlich die Optionsvielfalt, die sich nicht zuletzt aus dem Weiterwirken traditioneller Leitbilder ergibt. Frauenarbeit als Zweit- und Zusatzverdienst nach der Eheschließung, die Reduzierung der Vollzeitarbeit nach der Geburt von Kindern zugunsten von Elternzeit oder Teilzeit.
Diese traditionellen Modelle überlappen sich mit modernen Zukunftsmodellen wie egalitären Partnerschaften, einer ausgeglichenen Work-Life-Balance, und der Freiwilligkeit, entsprechend den eigenen Wünschen und Lebensumständen zu arbeiten oder es zu lassen.
Links zum Thema
https://www.mdr.de/geschichte/ddr/alltag/familie/ostfrauen-gleichberechtigung-frauen-ddr-kathrin-aehnlich-100.html
Abwägende MDR Doku (2024)
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/286988/verordnete-emanzipation/#footnote-target-24
Anna Kaminsky zu Frauen in der DDR/ im Vergleich mit Frauen im Westen, 1968 dient ihr als Bezugspunkt ihrer Texten. Frauenzeitschriften nutzt als Quelle.
https://www.bib.bund.de/DE/Aktuelles/2021/2021-06-04-BiB-Podcast-DDR-Frauen-nach-der-Wende-und-im-Osten-heute.html
Interview mit Prof. Dr. Norbert F. Schneider, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2019)
Wenn du weiterscrollst, siehst du die weiteren Kapitel zum Thema Wahrheit und Unwahrheit.
Wir schlagen dir weiterhin eine Auswahl an Kapiteln vor, die gut zu dem Profil passen, das du beim Start angegeben hast. Du kannst aber jederzeit auch weitere Themen auswählen, die Dich interessieren.
Den Abschluss solltest du aber nicht verpassen. Er enthält a) eine kurze Zusammenfassung, b) zeigt er, wie Menschen zu Veränderung beigetragen haben und c) hilft er Dir, Dich bei heißen Themen, bei denen es um die Frage „wahr oder falsch“ geht, zu positionieren. Deine Kenntnisse über den Umgang mit Wahrheit und Lüge in der DDR helfen dir dabei.
Transparenz
Allerdings gilt auch hier, dass nicht jede*r DDR-Bürger*in das so wahrgenommen hat.
- Die Unwahrheiten waren für manche nicht durchschaubar; viele Informationen wurden erst später für jeden zugänglich.
- Andere erkannten zwar, dass gelogen wurde, nahmen das aber nicht so wichtig. Sie passten sich an und hatten deshalb keine konkreten Negativ-Erfahrungen aus einem kritischen Umgang mit Unwahrheiten.
- Wieder andere vertrauten ihrem Staat und wollten deshalb auch glauben, was behauptet wurde.
- Eine letzte Gruppe war selbst Teil des Systems der Produktion und Verbreitung von Unwahrheiten.
Wir wollen, dass du dir selbst eine Meinung bilden kannst.
Deshalb haben wir nicht nur Materialien ausgewählt,
- die die Unwahrheiten offensichtlich machen, sondern auch solche,
- die zeigen, warum sich manche schwer damit taten und tun, zu erkennen und anzuerkennen, dass der Staat letztlich auf Unwahrheiten angewiesen war und mit den Mitteln einer Diktatur zu verhindern versuchte, dass diese offen gelegt wurden.
- Wir wollen zudem an Beispielen verdeutlichen, dass bestehende Spannungsgefüge nur aufzulösen sind, wenn über die Einzelerfahrung hinaus auf größere Zusammenhänge geachtet wird.
Zum Abschluss der einzelnen Kapitel zeigen wir jeweils, wie das nicht-Aushalten können hier von Unwahrheiten zu einem „Motor der Veränderung“ wurde, der schließlich zum Ende der DDR beitrug.