
Wahrheit und Unwahrheit
Ständige Produktivitätssteigerung?
Das Versprechen einer besseren Zukunft – Der Plan
Die Planwirtschaft war das zentral gesteuerte sozialistisch-kommunistische Wirtschaftssystem. Es sollte gerechter und effizienter als der Kapitalismus – das Wirtschaftssystem im anderen Deutschland – sein. Die Planwirtschaft ignorierte Mechanismen des freien Marktes wie Angebot und Nachfrage und setzte stattdessen auf zentrale Planung und staatliche Vorgaben.Privatbesitz war nicht vorgesehen. Damit in einem Umverteilungsprozess möglichst aller Besitz unter staatliche Kontrolle kam, waren Enteignungen die logische Konsequenz. DieSteigerung der wirtschaftlichen Produktivität sollte auf der Idee der gemeinsamen Teilhabe und Freude an der Arbeit fußen. Ressourcen und Produktion sollten so geplant, kontrolliert und verteilt werden, dass soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Gleichheit entstanden.
Planerfüllung und ständige Steigerung der Produktivität gehörten zu den Idealvorstellungen der Planwirtschaft.
Historischer Kontext
Wirtschaftspläne sind ein Instrument staatlicher Wirtschaftsorganisation. Schon im „Dritten Reich“ wurden in Deutschland Wirtschaftspläne genutzt, um die Wirtschaft auf den Krieg vorzubereiten.
In der Tradition sozialistischer Staaten, nach Vorbild der Sowjetunion waren Planwirtschaft und zentrale Wirtschaftsorganisation Teil des sozialistischen Staatssystems. So eben auch in der DDR. Die Idee dahinter ist logisch nachvollziehbar. Man ging davon aus, dass den statistischen Ämtern und Behörden des Staates die besten Informationen über die Wirtschaftsleistung und die Notwendigen Bedarfe vorliegen würden.
Das ist nicht ganz abwegig. Schließlich werden Passwesen und die Erfassung von Personendaten in Einwohnermeldeämtern auch zentral erfasst und verwaltet. Diese Idee staatlicher Organisation auf die Wirtschaft zu übertragen war also kein großer Schritt. Allerdings wurden dazu die wirtschaftlichen Gegebenheiten grundlegend umgeformt.
Im Beispiel der DDR heißt das, viele wurden enteignet und Unternehmen, wie landwirtschaftliche Produktionsstätten verstaatlicht. Eine letzte solche Verstaatlichungswelle fand 1972 mit dem Regierungsantritt Erich Honeckers statt. Damals wurden die letzten 11.000 Betriebe endgültig vom Staat übernommen.
In der Praxis hatte die Planwirtschaft mit erheblichen Problemen zu kämpfen.
Da die Pläne über mehrere Jahre vorausgeplant wurden, konnten zwischenzeitig auftretende Engpässe und Entwicklungen auf dem Weltmarkt nicht aufgefangen werden. Wenn für die Produktion eines Produkts 500tsd. Mark eingeplant waren, aber die Preise in der Laufzeit des Plans über 500tsd. Mark stiegen, war nicht genug Geld vorhanden, um auszugleichen. Die Produktion blieb unter dem gesetzten Ziel zurück.
Ein weiteres Problem war die Produktion nicht gewollter Güter. Immer wieder kam es vor, dass der Plan Güter vorsah, die die Bevölkerung gar nicht in der produzierten Menge haben wollte. Sie wurden dann nicht verkauft und eigentlich waren die Arbeitszeit, eingesetzten Produktionsmittel und Rohstoffe damit verschwendet. Gleichzeitig fehlte es an Produkten, die die Bevölkerung gerne kaufen wollte, die aber laut Plan nicht in der nötigen Stückzahl produziert wurden. Es fehlte an einem selbstregulierenden Markt, wie er in der freien Marktwirtschaft existiert.
Ein Vorteil der DDR-Wirtschaft für die Bürger*innen war, dass viele Preise festgeschrieben waren und nicht steigen durften. Weil aber die Weltwirtschaft nicht so funktioniert und Preissteigerungen über die Zeit normal sind wurden Güter in der DDR teurer produziert, als sie verkauft wurden. Dadurch fehlten Geldmittel, die die Wirtschaft gebraucht hätte.
Weil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das ständige Wachstum ein Kern der sozialistischen Ideologie waren, entschied sich die SED dafür die Bevölkerung zu belügen, damit sie ihr eigenes Scheitern nicht zugeben musste.
Transparenz
Im Infotext werden die zentralen Aspekten der Planwirtschaft dargestellt.
Materialspalte:
- Plakat „Plan-Erfüllung – gute Zukunft“ visualisiert das an die Bevölkerung adressierte Versprechen einer besseren Zukunft;
- Foto Wettbewerb an einer LPG
Was die Verfassung definierte…
…sollte die Politik umsetzen.
Der Versuch der Honecker-Ära war die Einheit von Sozial- und Wirtschaftspolitik, wobei die Erhöhung des Lebensniveaus durch eine entsprechende, stark auf Subventionen setzende Sozialpolitik der erste Schritt sein sollte. Das Wachstum der Arbeitsproduktivität, das damit verbunden sein sollte, blieb aber aus. Eine Abwärtsspirale setzte ein.
Transparenz
In dieser Sektion wird die Einheit Sozial- und Wirtschaftspolitik (Honecker) als Beispiel gewählt, um zu zeigen, dass Verfassungstext und Wirklichkeit sich nicht entsprachen.
In der Materialspalte finden sich Verfassungsauszüge.
Zusätzliche Materialien
Sehr erhellend ist in diesem Zusammenhang auch der Brief, den Günter Mittag (ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen) und Gerhard Schürer (Vorsitzender der staatl. Planungskommission) schon 1977 direkt an Erich Honecker geschrieben hatten. Sie warnten darin vor wirtschaftlichen Problemen und davor, dass vom Staat zu viel Geld ausgegeben würde.
Große Versprechungen…
…denen die Erfahrungen widersprachen
Den Erfolgsmeldungen widersprachen die Erfahrungen im Alltag. Die Bürger*innen waren immer wieder mit Mangel, Lieferschwierigkeiten, Modernisierungsstau konfrontiert. Sie erlebten Stillstand im Betrieb, mussten jahrelang auf bestellte Waren warten, erlebten, dass im Land benötigte Produkte ins (westliche) Ausland exportiert wurden.
Transparenz
Der Zählerkasten steht in dieser Sektion sinnbildlich für marode Infrastruktur der DDR.
Kontrastiv hierzu findet sich in der Materialspalte ein Artikel aus dem Neuen Deutschland, in dem die Planwirtschaft gefeiert wird.
Zusätzliche Materialien
Sehr erhellend ist in diesem Zusammenhang auch der Brief, den Günter Mittag (ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen) und Gerhard Schürer (Vorsitzender der staatl. Planungskommission) schon 1977 direkt an Erich Honecker geschrieben hatten. Sie warnten darin vor wirtschaftlichen Problemen und davor, dass vom Staat zu viel Geld ausgegeben würde.
Versprechen gab es bis zum Schluss…
…aber immer weniger glauben sie.
Transparenz
In dieser Sektion wird anhand des Beispiels in der Materialspalte, einem Ausschnitt aus der Aktuellen Kamera aus dem Herbst 89 (kurz vor dem Mauerfall), gezeigt, dass bis zum Ende der Schein in DDR aufrechtzuerhalten versucht wurde. Währenddessen verlassen jedoch bereits Tausende die DDR über die offenen Grenzen nach Österreich.
Heiße Themen
Trotz alledem wird die Erinnerung an die wirtschaftliche Lage im letzten Jahrzehnt der DDR, in der Rückschau vieler Betroffener überlagert. Die Nachwirkungen der Auflösung der DDR-Wirtschaft nach der Wiedervereinigung, das Wirken der Treuhand, haben bei vielen ehemaligen Bürger*innen der DDR Narben hinterlassen. Man fühlte sich und fühlt sich noch immer abgehängt und betrogen. Viele haben tatsächlich nach der Wende ihre Arbeit verloren. Garantien auf einen Arbeitsplatz, wie in der DDR, gab es nicht mehr. Dieser Schock wirkt noch immer nach. Gleichzeitig wird er aber auch instrumentalisiert und übertrieben, um etwa Wahlkampf zu betreiben, oder um Unmut zu schüren.
Dieses Problem zu ignorieren ist aber keine Lösung. Es muss diskutiert werden. Auch, dass die DDR, sich objektiv betrachtet nicht gut eignet, als die gute alte Zeit vor den wirtschaftlichen Problemen der Wendejahre.
Nicht der Plan…
Durch die wirtschaftliche Zwangslage stand für Innovationen zu wenig Geld zur Verfügung. Dies hängte das Land zunehmend vom sich rasch weiter enwickelnden Weltmarkt ab. Dies ist allerdings nur eine Seite des Problems:
Die andere ist, dass auch für Forschung und wissenschaftliche Innovation politisch motivierte Ziele vorgegeben wurden. In „Plänen“ wurde definiert, bis wann etwas erforscht sein soll.
Dabei sollte auch die Grundlagenforschung nicht, wie im Westen üblich, weitgehend zweckfrei, sondern anwendungsorientiert erfolgen, also von vornherein auf eine ökonomisch nutzbringende Verwertung hin ausgerichtet sein.
…sondern Not macht erfinderisch
„Ihr wart immer so kreativ“ – Menschen, die in der DDR gelebt haben, aber auch Besucher*innen aus dem Westen erinnern sich an die Kreativität und die Fähigkeit von DDR-Bürger*innen, mit den durch die Planwirtschaft (und weiteren durch den Realsozialismus) entstandenen Problemen umzugehen. Ein eigentlich gescheitertes System wurde so durch individuelle Leistungen aufgefangen, die eigentlich gar nicht hätten notwendig sein dürfen.
Transparenz
In dieser Abschlusssektion werden der Plan, der auch in die Bereiche der Wissenschaft und Forschung reicht der „Kreativität“ im Umgang mit Problemen/Mangel (Außenwahrnehmung des Westbesuchers, vergleichbare Innenwahrnehmung) gegenübergestellt.
Wirtschaftswachstum war Kernelement des Sozialismus
Darum war es für die SED so wichtig den Schein eines stetigen und funktionierenden Wachstums aufrecht zu erhalten.
Weil aber die Realität von diesem Ideal immer weiter abwich, war es für die SED nötig die Daten zu „optimieren“, also zu Lügen, um die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen.
Aber manche Dinge lassen sich einfach nicht wegdiskutieren. Besonders dann nicht, wenn sie direkten Einfluss auf das Leben der Menschen haben.
Wenn du weiterscrollst, siehst du die weiteren Kapitel zum Thema Wahrheit und Unwahrheit.
Wir schlagen dir weiterhin eine Auswahl an Kapiteln vor, die gut zu dem Profil passen, das du beim Start angegeben hast. Du kannst aber jederzeit auch weitere Themen auswählen, die Dich interessieren.
Den Abschluss solltest du aber nicht verpassen. Er enthält a) eine kurze Zusammenfassung, b) zeigt er, wie Menschen zu Veränderung beigetragen haben und c) hilft er Dir, Dich bei heißen Themen, bei denen es um die Frage „wahr oder falsch“ geht, zu positionieren. Deine Kenntnisse über den Umgang mit Wahrheit und Lüge in der DDR helfen dir dabei.
Transparenz
Allerdings gilt auch hier, dass nicht jede*r DDR-Bürger*in das so wahrgenommen hat.
- Die Unwahrheiten waren für manche nicht durchschaubar; viele Informationen wurden erst später für jeden zugänglich.
- Andere erkannten zwar, dass gelogen wurde, nahmen das aber nicht so wichtig. Sie passten sich an und hatten deshalb keine konkreten Negativ-Erfahrungen aus einem kritischen Umgang mit Unwahrheiten.
- Wieder andere vertrauten ihrem Staat und wollten deshalb auch glauben, was behauptet wurde.
- Eine letzte Gruppe war selbst Teil des Systems der Produktion und Verbreitung von Unwahrheiten.
Wir wollen, dass du dir selbst eine Meinung bilden kannst.
Deshalb haben wir nicht nur Materialien ausgewählt,
- die die Unwahrheiten offensichtlich machen, sondern auch solche,
- die zeigen, warum sich manche schwer damit taten und tun, zu erkennen und anzuerkennen, dass der Staat letztlich auf Unwahrheiten angewiesen war und mit den Mitteln einer Diktatur zu verhindern versuchte, dass diese offen gelegt wurden.
- Wir wollen zudem an Beispielen verdeutlichen, dass bestehende Spannungsgefüge nur aufzulösen sind, wenn über die Einzelerfahrung hinaus auf größere Zusammenhänge geachtet wird.
Zum Abschluss der einzelnen Kapitel zeigen wir jeweils, wie das nicht-Aushalten können hier von Unwahrheiten zu einem „Motor der Veränderung“ wurde, der schließlich zum Ende der DDR beitrug.